Berlin (ots)
Der Berliner Polizei werden im Zusammenhang mit der rechtsextremen Neuköllner Anschlagsserie erneut Versäumnisse vorgeworfen.
Nach Informationen von rbb-24 Recherche und der Berliner Morgenpost verzichtete das Berliner Landeskriminalamt (LKA) trotz vorliegender Informationen darauf, den Linken-Politiker Ferat Kocak vor einer etwaigen Gefährdung zu warnen.
Das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses war in einer E-Mail an das LKA vom März 2019 bedroht worden. Der Absender bezeichnete sich selber als „NSU 2.0“. Der Verfasser beleidigte Kocak mit dem Nazi-Begriff „Volksschädling“. Außerdem behauptete er, der „NSU 2.0“ sei für einen Brandanschlag verantwortlich, der am 1. Februar 2018 auf Kocaks Auto verübt worden war. Zudem wurde in der E-Mail die private Wohnanschrift von Kocaks Familie genannt.
Ferat Kocak wurde trotz des bedrohlichen Charakters nicht über diese E-Mail informiert. Die Berliner Polizei verzichtete in seinem Fall bereits zum zweiten Mal auf eine Warnung. Schon im Fall des Brandanschlags auf sein Auto wussten die Sicherheitsbehörden durch abgehörte Telefonate bereits im Vorfeld des Attentats, dass zwei Neonazis den heutigen Abgeordneten gezielt ausgespäht hatten. Sie verzichteten seinerzeit aber auf eine sogenannte „Gefährdetenansprache“.
Auf Anfrage von rbb24-Recherche und der Berliner Morgenpost verweist die Berliner Polizei jetzt darauf, dass mit Kocak „Sicherheitsgespräche geführt worden“ seien. Aus der Antwort der Behörde geht allerdings hervor, dass Kocak dabei nur über E-Mails aus dem Jahr 2020 informiert wurde, nicht aber über die Droh-E-Mail vom März 2019. Die Polizei verweist zudem darauf, dass die Ermittlungen zu den Drohschreiben des „NSU 2.0“ durch das LKA Hessen geführt worden seien. Eine „tatsächliche Gefährdung“ habe sich im Fall Kocak nicht ergeben. Das LKA Hessen habe damals dennoch zugesichert, Kocak über Mails des „NSU 2.0“ zu informieren.
Der Linken-Politiker bekräftigte dagegen auf Anfrage, keine Information über die Droh-Mail erhalten zu haben. „Dass die Polizei mich trotz des vorherigen Brandanschlages auf mein Auto nach der E-Mail vom März 2019 erneut nicht gewarnt hat, finde ich skandalös“, sagte Kocak.
Unter dem Absender „NSU 2.0“ verschickten Rechtsextremisten ab August 2018 weit mehr als 140 Morddrohungen an Politikerinnen und Politiker, Medien- und Kulturschaffende. Das Kürzel „NSU“ spielte auf die rechtsextreme Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ an.
Der mutmaßliche Verfasser der Mails, der Berliner Alexander M., muss sich seit Februar dieses Jahres vor dem Landgericht Frankfurt am Main verantworten. Die mutmaßlichen Täter des Brandanschlags vom 1. Februar 2018 auf das Auto von Ferat Kocak, die Neonazis Sebastian T. und Tilo P., sollen ebenfalls bald vor Gericht stehen. Die Anklage der Berliner Generalstaatsanwaltschaft wurde allerdings noch nicht zur Verhandlung zugelassen.
Zur Neuköllner Anschlagsserie zählen mehr als 70 zwischen 2016 und 2019 begangene Straftaten gegen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. SPD, Grüne und Linke verständigten sich darauf, etwaige behördliche Fehler in dem Ermittlungskomplex durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufzuklären.
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